Dies ist die erste Ausstellung des Kunstraum München mit tschechischen Künstlern. Sie geht auf eine Anregung des Artcircolo zurück, einem Münchner Verein, der Ausstellungen an verschiedenen Orten Europas durchführt. In einer Ausstellung in Melnik bei Prag stellte er vier tschechische Künstler vor, die auch in München gezeigt werden sollen. Zwei dieser Künstler wurden vom Kunstraum München eingeladen, neue Arbeiten zu realisieren.
Vladimir Kokolia und Tomas Ruller sind zwei sehr unterschiedlich arbeitende Künstler. Während Kokolia in erster Linie Zeichner und Maler ist, bedient sich Ruller verschiedener Medien wie Performances, Installationen, Skulpturen, visueller Linguistik und Videofilmen. Die Künstler, die sich seit langer Zeit kennen - beide kommen aus Brünn und haben an der Kunstakademie in Prag studiert - wollten immer schon einmal eine gemeinsame Ausstellung erarbeiten. Ihr Konzept für die Münchner Ausstellung ist durch die Raumsituation inspiriert worden. Jeder Künstler hat zwei etwa gleichgroße Räume zur Verfügung. In jeweils einem Raum erstellt er eine ganz neue Arbeit nach seinem eigenen künstlerischen Programm. In dem zweiten Raum dagegen versucht er, mit seinen Mitteln die künstlerischen Ideen des anderen darzustellen. Keiner von beiden kennt die Pläne des anderen. Auch während der Arbeit bleibt sie dem jeweils anderen verborgen, da die Räume durch Türen begrenzt und geschlossen werden. Die dadurch wiederhergestellte ursprüngliche Wohnraumsituation wird zusätzlich betont, indem die Künstler die Räume während des Arbeitsprozesses in "Besitz" nehmen: sie werden dort auch wohnen.
Vladimir Kokolia, geboren 1956 in Brünn, studierte von 1975 bis 1981 an der Kunstakademie in Prag, wo er seit 1992 Professor für Malerei ist. Seit 1984, nach der politischen Öffnung der tschechischen Republik, konnte er im westlichen Ausland ausstellen. 1991 war er an der Ausstellung mit tschechischen Künstlern "Beitrag zum Gück" in München beteiligt, 1992 nahm er an der documenta IX teil. Die Kunst Vladimir Kokolia's ist durch sozialkritische Überlegungen geprägt. Vor allem in seinen frühen Zeichnungen führt er den Menschen als egoistisches und letztlich selbstzerstörerisches Wesen vor. Um 1985 beginnt er mit Ölbildern, deren Motive aus der Realität abgeleitet, aber doch weitgehend abstrahiert sind. Jede Form der Institutionalisierung der Kunst im Westen wie im Osten ist ihm suspekt, für ihn erschließt sich Kunst nur in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit ihr. In den letzten Jahren beschäftigt ihn immer mehr die Suche, einen Ausdruck für das Nicht-Sichtbare zu finden, für das, was zwischen den Dingen ist. Dabei untersucht er auch, welche Rolle das Licht bei der Wahrnehmung spielt.
Tomas Ruller, geboren 1957 in Brünn, studierte von 1976 bis 1982 an der Kunstakademie in Prag. Seit 1992 ist er Assistenz-Professor an der Fakultät der Schönen Künste, Abteilung Neue Medien in Brünn. Am Anfang seiner künstlerischen Tätigkeit steht die Beschäftigung mit Fragen des Existentialismus und der Phänomenologie. In Aktionen und Performances erkundet er Grenzbereiche seines Körpers und seiner Psyche. Innere und äußere Grenzen werden auf ihre Stabilität hin erkundet- Erfahrungen immer wieder in Frage gestellt. Dabei steht dem Skeptizismus ein ausgeprägter Wunsch nach positiven Werten gegenüber, die eine Kreativität erst mit Sinn erfüllen. Der Balanceakt zwischen Sicherheit und Unsicherheit ist wie ein Spiel, das jederzeit in eine gefährliche Situation umkippen kann. 1985 gründete er mit Boris Nieslony und weiteren europäischen Künstlern die Gruppe "Biack Market". Er bleibt dabei ein Grenzgänger zwischen westlicher und östlicher Kunst. Neben Skulpturen für den öffentlichen Raum - vor allem in Prag und Brünn - erarbeitet er aber auch Raum bezogene Skulpturen wie die Glasinstallation für die Gruppenausstellung "Aktuell 91" in der Lothringerstraße. Politisch verfolgt, wurde ihm die Teilnahme an der documenta VIII, 1987 untersagt. Seit der tschechischen "Revolution" 1989 jedoch nahm er an vielen internationalen Ausstellungen teil und wurde zu Gastvorlesungen in den USA und England eingeladen. Seit 1991 war er an verschiedenen Video- Festivals beteiligt.
Artcircolo wird die beiden anderen tschechischen Künstler, Michal Gabriel (Skulpturen) und Martin Mainer (Bilder) aus Prag vom 7. Juni bis 2. Juli 1994 im Pavillon des Alten Botanischen Garten zeigen. Zu der Ausstellungsreihe in Melnik und München ist ein Buch über die vier tschechischen Künstler erschienen. Der Prager Kunstkritiker und Philosoph Ludvik Hlavacek hat einen ausführlichen Text zur tschechischen Kunstentwicklung nach dem Krieg und zum Werk der vier Künstler geschrieben. (DM 27,-)
Christine Tacke.