Foto: Nicola Torke, o.T., Ausstellungsansicht, Kunstraum München, 1995, ©Petra Wallner
Nicola Torke, 1960 in Münster geboren, studierte 1981/1982 in München an der Akademie der bildenden Künste bei Eduardo Paolozzi und von 1982 bis 1988 an der Kunsthochschule in Harnburg bei Franz Erhard Walther. Anschließend war sie mit einem DAAD-Stipendium in Neapel und Süditalien. Schon während ihres Studiums konnte sie ortsbezogene Arbeiten mit Texten und Wandmalerei realisieren. Diese Arbeit setzt sie bis heute fort. So entstand 1994 eine große Wandmalerei mit Textinstallationen auf Glas in einem Treppenhaus über sieben Stockwerke der Zweigniederlassung München - Siemens AG. (Büro Orange) außerdem eine Wandmalerei mit Textinstallation in einem Privathaus in Westfalen.
Auch im Kunstraum zeigt sie eine Installation, bei der sich Skulptur und Text ergänzen. Im ersten Raum schweben neun Kegel aus Keramik mit einer transparenten Glasur über dem Boden, angeordnet wie für ein überdimensioniertes Spiel, zu dem nur die Kugel fehlt, um sie aus dem labilen Gleichgewicht zu stoßen. Zugleich erinnern die großen Kegel an menschliche Gestalten in makelloser Abstraktion. Die kleinen Kegel, aus zartem Porzellan und ohne Glasur, heißen mit gutem Grund: die Kinder. Auf dieses Spiel der Assoziationen geht der Text im zweiten Raum ein. Aristophanes schildert in Platons Gastmahl die ursprünglich ideale Gestalt des Menschen, in der das Männliche und das Weibliche vereint gewesen waren: Damals war die ganze Gestalt jedes Menschen rund, so daß Rücken und Flanken im Kreis stehen, er hat vier Hände und ebenso viele Beine und zwei Gesichter auf kreisrundem Nacken, ganz gleiche. Und zu den zwei gegenübergestellten Gesichtern nur einen Kopf und vier Ohren und zwei Schamteile und alles andere, wie man es sich hiernach vorstellen kann.
Verglichen damit sind die Menschen heute nur noch Bruchstücke, denn Zeus hatte ein Mittel gefunden, wie die Menschen bestehen und doch von ihrem Übermut ablassen: Jetzt durchschneide ich sie nämlich, jeden in zwei Teile, und so wie sie schwächer werden, werden sie uns auch nützlicher sein, weil sie ja an Zahl mehr geworden sind, und sie mögen aufrecht auf zwei Beinen gehen. Dieser Text steht Rücken an Rücken zu dem ersten Textteil - Idealität als Gegenstück zur Realität. Zwei große Beine stehen sich in diesem Raum gegenüber, Abgüsse einer Prothese, die durch das reine, glänzende Weiß ihren Schrecken, aber durch ihre Zerbrechlichkeit auch ihren Sinn verloren hat. Die Irritation wird noch vergrößert, indem diese makellosen Behelfsbeine jeweils auf einen Sockel gehoben, zur Schau gestellt sind - ein Balanceakt zwischen Heiterkeit und Ernst, zwischen idealer Schönheit und häßlicher Wirklichkeit.
Im letzten Raum zeigt Nikola Torke eine etwas ältere Arbeit. Zwei weiße Tischdecken werden zu Tischen, ihre Sockel sind zugleich ihre Behälter. Die banalen, nützlichen Transportkisten zusammen mit den unwirklichen, verzauberten Tischen wecken kindliche Träume an eine utopische Märchenwelt.
Auf dem Gang werden eigenständige Aquarelle von 1993 bis 1995 gezeigt, die nicht im Zusammenhang mit den Skupturen stehen. Sehr viel stärker als die Skulpturen weisen sie auf das organische Wachsen von Formen hin und auf Phantasiegebilde, die sich jeder Form entziehen wollen.
Christine Tacke.
Einzelausstellungen
1986 'Konzertraum' Westwerk, Harnburg
1992 Galerie Wilma Tolksdorf, Harnburg
1995 Kunstraum München
'Das Lied von der Erde', Kurator Norbert Prangenberg,
Galerie für angewandte Kunst, München
Gesellschaft für Aktuelle Kunst, Bremen
Gruppenausstellungen
1989 'Neue Kunst in Hamburg', Kampnagelfabrik, Harnburg
1990 'Stipendiaten des Harnburg Stipendiums', Kunsthaus, Harnburg
Kunstverein Brühl, Orangerie Schloß Augustusburg
1991 'Das andere Gedächtnis', Künstlerhaus, Harnburg
1992 'Made for Arolsen', Skulpturen, Kurator Veit Loers, Schloß Arolsen
1994 'Wa(h)re Kunst', Börse Harnburg
Ausgestellte Arbeiten
Ohne Titel, 1995, Neun Kegel, Keramik, transparente Glasur
Kinder, 1995, 9 Kegel, Porzellan, Vorzugsausgaben des Kunstraum München
Ohne Titel, 1990, Bein, Keramik, weiß engobiert, glasiert, Metallsockel
Ohne Titel, 1988, 2 Tische, vierteilig, Keramik, weiße Glasur, 2 Holzkisten
Buchstaben, 1995, Gips
Aquarelle, 1993 bis 1995
Preise auf Anfrage, die Vorzugsausgabe Kinder DM 900, Der Katalog zur Ausstellung wird Mitte März erscheinen.
Die Texte aus Platons Gastmahl sind der Übersetzung von Kurt Hildebrandt in der Reclam-Ausgabe von 1979 entnommen.