Fingerabdrücke auf Schaufensterscheiben, die individuelle, »verschmutzende« Kennung, hinterlassen in einem Akt der Selbstvergewisserung. Die fotografisch festgehaltenen Signaturen, die die bunte Warenwelt auf reine Lichtreflexe reduzieren, stammen von Josef Kramhöller (geb. 1968 in Wasserburg/Inn, gest. 2000 in London) und markieren seine nächtlichen Streifzüge durch Londons Boutiquen-Landschaft. Es ist eine der viel zu kurzen Karrieren – Kramhöller, der an der Akademie für Bildende Künste in München und später am Chelsea College of Art and Design in London studierte, nahm sich 2000 im Alter von 31 Jahren in London das Leben –, die der kunstraum muechen mit dieser Ausstellung würdigt. Josef Kramhöller oder »sixpack-KRAMHOELLER-vor der information«, wie er sich selbst gelegentlich nannte, war in den 1990er Jahre mit seiner intensiven, polarisierenden, herausfordernden und kritischen Art eine prägende Figur der Kunstszene Münchens.
Gestische Zeichnungen alltäglicher Szenen, einfache Formen wie Kreis oder Kreuz, mit Konstruktionslinien überladene Skizzen von räumlichen Situationen, die später auch konkrete performative Szenen zum Anlass nehmen und zugleich Entwurf wie Kommentar zu Kramhöllers Lesungen und Textverkörperungen bedeuten, großformatige, monochrome Ölbilder mit obszön anmutenden aufgesetzten – und materialbedingt wieder abrutschenden – Vaselinepfropfen, die in einem performativen Akt vom Künstler immer wieder angebracht werden mussten, was – charakteristisch für das gesamte Werk – den Entstehungsprozess ständig am Laufen hielt.
Zentral im Werk ist die 1999 erschienene, von Kramhöller neu zusammengestellte und bearbeitete Textsammlung »Genuss Luxus Stil – sstems -ideological milieu«, die mit Material aus den Jahren 1989 bis 1999 fast das gesamte Erwachsenenleben des Künstlers umreißt. Die Verflechtung von englisch- und deutschsprachigen Texten darin spiegelt sein Pendeln zwischen München, London, wieder München, wieder London, aber auch die Befreiung, die eine fremde und damit scheinbar unkodierte Sprache für ihn bedeutete. »Die Gute Mensch Welt« – wie das Buch im handschriftlichen Subtext des Covers heißt – verkettet Notizen, persönliche Briefe, kunsttheoretische Überlegungen und, wie er es nannte, »Verschmutzungen« von Marx’ »Kapital«, aber auch ein längeres, im Dialekt geführtes Gespräch mit seiner Schwester über ihre Jugend in einem Dorf in Oberbayern, zu einer enorm dichten und fast atemlosen persönlich-politischen Topographie. Sprache ist bei Kramhöller immer »adressiert an einen ›Körper‹, also nicht Text als Produzent von absoluter Bedeutung und dadurch gefangen in den Ritualen der Kunstkritik, sondern geschriebene Sprache, die der gesprochenen Sprache nahe ist …« In der Aufführungspraxis dann versuchen die »gelesenen Textcollagen … beim Zuhörer eine Bedeutungsland-schaft zu erzeugen: ›mächtige‹ Sprache, verstandene Sprache, sinnlose Sprache, absurde Sprache, peinliche Sprache, sinnvermittelnde Sprache, sinnvermittelnder Text, sprachvermittelnder Text.« (Josef Kramhöller in einem Brief 1997)
Kramhöllers intensive Auseinandersetzung mit Marx’ »Kapital« hinterlässt seine Spuren nicht nur in »Genuss Luxus Stil« und in dem Manuskript »The Capital Content«, sondern auch in Zeichnungen wie der »Sozialen Treppe« oder dem VW-Logo, das als Lichterdom strahlt – alle spiegeln die intensive Auseinandersetzung mit Zustand und Organisation der gesellschaftlichen Verhältnisse und deren Produktionszusammenhängen, dies aber nicht auf distanzierte Weise, sondern geknüpft an den eigenen Zweifel, die reale Existenznot, den Wunsch nach gesellschaftlicher Anerkennung und gleichzeitiger Hinterfragung und Ablehnung bestehender sozialer Hierarchien und Systeme. Es ist das Besondere an Kramhöllers Arbeiten, das Persönliche am Politischen zu untersuchen und zu entwickeln – und umgekehrt. »Life is not funny«.
Die Ausstellung im kunstraum muechen, die ihren Schwerpunkt auf das Performative in Kramhöller Werk legt, entstand in Kooperation mit dem Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, sowie der Galerie Kienzle & Gmeiner, Berlin. Dank an Stephan Dillemuth.
Herausgegeben vom Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, ist anlässlich der Ausstellungen von Josef Kramhöller im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen und im kunstraum muenchen ein Katalog erschienen. Mit einem Interview von Kathleen Rahn mit Stephan Dillemuth, Axel John Wieder und Amelie von Wulffen, sowie Texten von Susanne Prinz, Helmut Draxler und Josef Strau (dt./engl., € 19.-).
Kuratorin: Heike Ander.
Termine:
Mittwoch, 04. Mai 2005, 19 Uhr: Eröffnung