Die Ausstellung »storylines« zeigt künstlerische Positionen, die mit dem Artikulationsmedium der künstlerischen Zeichnung spezifische Aspekte von – meist urbaner – Wirklichkeit reflektieren. Der thematische Schwerpunkt der Arbeiten liegt auf der Repräsentation urbaner Landschaften, Architektur und (domestizierter) Natur als Räumen alltäglichen sozialen Handelns. Die methodische Verortung der Bildproduktion oszilliert zwischen dem Rekurs auf dokumentarische Abbildungsstrategien einerseits und den Referenzen zu filmischen Erzählstrukturen andererseits. Die Ausstellung versammelt Arbeiten, die sich mit erzählerischen (und gleichermaßen erzählten) Momenten alltäglicher Realität(en) beschäftigen, ohne jedoch eine lineare, zwangsläufig ablesbare Geschichte zu erzeugen. Vielmehr werden typologische Bilder transportiert, die die BetrachterInnen mit wiederkehrenden Situationen gesellschaftlichen Daseins und dessen Rahmenbedingungen konfrontieren.
Kuratiert von Ulrike Kremeier, //plattform//, Berlin. »storylines« ist eine Produktion von //plattform//, Berlin, die im Oktober/November 2005 in Paris bei public>, sowie im Januar/Februar 2006 im Kunstverein Göttingen zu sehen war.
Termine:
Mittwoch, 07. Juni 2006, 19 Uhr: Eröffnung
KünstlerInnen:
Kaucyila Brooke, »The Killing of Sister George« (1998/2005): Die aus acht Einzelbildern bestehende Zeichnungsserie bildet einen imaginären Nachspann zu Robert Aldrichs gleichnamigem Film aus dem Jahre 1968, in dem im Stil einer ironischen Pseudo-Dokusoap das alltägliche Ringen um Beziehungsleben und Liebe zwischen alltäglicher Realität und Idealvorstellung, zwischen öffentlichem und privatem Umfeld etc. erzählt wird.
Ursula Döbereiner, »Häuser« (2002): Die Animation basiert auf einer Serie digital produzierter Strichzeichnungen, deren Abfolge eine Kamerafahrt suggeriert, die den privaten Lebensraum in Zusammenhang mit öffentlichen Räumen stellt. Durch diese als Endlosschleife produzierte Aneinanderreihung unterschiedlich konnotierter Raumkonstruktionen wird einerseits eine Art von imaginärem, transitorischem Handlungsraum hergestellt, andererseits eine hybride räumlich-typologische Entität behauptet, die auf kulturell/kulturhistorisch relevante oder individuell besetzte Orte verweist.
Elise Florenty, »Kino Krov« (2004): Das Animationsvideo greift auf schriftliche Aufzeichnungen des russischen Neurologen Alexandre Luria zurück. Seine unter dem Titel »Ich nehme den Kampf wieder auf« publizierten Schriften sind Schilderungen der Kranken- und Lebensgeschichten vornehmlich autistischer Patienten. Kennzeichnend für dieses Krankheitsbild, das Luria als geradezu symptomatische Zustandsbeschreibung moderner Zivilisationsgesellschaften postuliert, ist das gestörte Kommunikations- und Wahrnehmungsverhältnis der Betroffenen zu ihrer menschlichen und räumlichen Umwelt. Ein wesentliches Element des medizinisch-therapeutischen Umgangs mit der Krankheit liegt in der Untersuchung des pathologischen Realitätsverständnisses. Denn die Perzeption von Wirklichkeit scheint sich häufig in Projektionswelten, die auf Assoziationsketten beruhen, zu verlieren. »Kino Krov« präsentiert die Visualisierung eines inneren Monologs, der durch eine Fernsehdokumentation ausgelöst wird.
Erik Göngrich, »Stadtansichten« (2002–05): Die Arbeit besteht aus 80 Dias, die in einem langsamen, gleichmäßigen Rhythmus aufeinander abfolgen. Die projizierten Stadtansichten repräsentieren Ausschnitte unterschiedlicher Städte, die aber durch den Stil der gezeichneten Abbildung egalisiert werden. Durch die Abfolge jener einander ähnlich scheinender Stadtlandschaften entwirft Erik Göngrich eine Art von globaler Megapolis, die sich aus den Fragmenten vieler Städte zusammensetzt. Gleichermaßen aber entsteht eine kleine Anthologie des ikonographischen Vokabulars des Topos »Stadt«. Parallel zu den gezeichneten Stadtbildern wird eine Abfolge von Fragen projiziert, die das Verhältnis der Besucher/innen zu ihrem eigenen (urbanen) Lebensumfeld zur Disposition stellen.
Elisabeth Hautmann, Zeichnungen (2002-05): Die mit Bleistift und Buntstift auf mehrlagig geklebtem Zeitungspapier gezeichneten Motive repräsentieren Alltagssituationen, Stadtansichten etc., die ikonografische Referenzen zur Welt der Massenmedien aufweisen. Die Zeichnungen werden durch Stickereien überlagert, die einerseits auf eine populäre Bildsprache reflektieren, andererseits aber auch auf traditionelle Handwerks- und Handarbeitstechniken und die Zuschreibung zu weiblichen Domänen verweisen.
Zilla Leutenegger, »Mia« (2004): Die direkt auf die Wand projizierte Videozeichnung zeigt eine auf dem Sofa sitzende, rauchende Frau. Die einzigen Bewegungen sind der im Bild aufsteigende Zigarettenrauch und der Widerschein des Fernsehers im Zimmer. Die ins Leere starrende Frau scheint kontextlos, der sie umgebende Raum existiert ebenso wenig als erkennbarer Ort, wie der mediale Raum des TV-Programms aus der Zeichnung ersichtlich ist. Beide Faktoren sind Phänomene sozialer Bedingungen, die mehr durch Insignien modernen Lebens, denn durch gesellschaftliche Interaktion geprägt sind.
Elke Marhöfer, »Das ist die Idee – quodlibet« (2003): Die drei Bleistiftzeichnungen basieren auf Fotos der 1970er Jahre. Zu sehen sind demonstrierende Menschen. Die Arbeit zielt einerseits darauf ab, auf formal-ästhetischer Ebene dokumentarische Bildstrategien und künstlerische Transferprozesse im Verhältnis zu faktischer Wirklichkeit zu thematisieren, und andererseits die Frage nach der Funktion des öffentlichen Raums im Zusammenhang mit politischer Artikulation zu postulieren.
Joel Mützenberg, »La poesie de la guerre quoditienne« (2002): Die in Form eines Hefts präsentierte Serie von Zeichnungen, die unter dem Titel »Die Poesie des alltäglichen Krieges« firmieren, thematisiert das Verhältnis von Autonomie zu Autarkie, von Individuum zu Kollektiv(ität) unter den Prämissen der alltäglichen Notwendigkeit, jene Selbstbestimmung und damit verbundene ökonomische Bedingungen generieren zu müssen. Die Zeichnungen werden in einer kleinen, zur freien Mitnahme vorgesehenen Publikation zusammengefasst. Somit thematisiert die Arbeit nicht nur Vorstellungen von Arbeit und Ökonomie in der Dimension alltäglichen gesellschaftlichen Handelns, sondern nimmt auch eine symbolische Setzung der Produktion und Distribution innerhalb des Kunstsystems vor.
Michaela Schweiger, »Walt Disney zeigt Johnny Colanna und Eddy Nelson die Stadt der Zukunft« (2001/02): Innerhalb der großformatigen, aquarellierten Zeichnung ist die Darstellung der Person Walt Disneys mit der Grundidee einer spezifischen städtischen Gesellschaft verknüpft. Einer nämlich, in der die Organisation des Alltagslebens durch Einrichtungen strukturiert ist, die den institutionellen Kontrollen typischer »gated communities« unterliegen. Jene von Disney für die Siedlungen Epcot und Celebration entwickelten Prinzipien finden sich nunmehr in den Ansätzen des »new urbanism« wieder. Die innerhalb der Zeichnung entworfene Narration greift auf Dialoge zurück, die einer von Disney im Internet lancierten virtuellen Stadt entnommen sind. Dieser programmierte Mikrokosmos verkörpert eine exemplarische Kontrollgesellschaft, in der die Grenzen des Realen und des Fiktionalen ineinander übergehen.
Maya Schweizer, »o. T.« (2005): Die Bleistiftzeichnung, die auf einer 5 Meter langen Papierbahn zu sehen ist, ist aufgebaut wie ein Storyboard für einen Film oder Einzelbilder für einen Animationsfilm. Die Narration basiert auf einer Abfolge von Bildern, die das immer gleiche Setting in abgewandelter Form wiederholt: Eine von Autos befahrene Straße im Vordergrund, eine Reihe unterschiedlichster Wohnbauten im Hintergrund. Auf dem Bürgersteig dazwischen eine gehende, verschleierte Frau. Als Bestandteil der Zeichnung läuft, wie eine Bildunterschrift, ein Textband durch, das eine Art von Selbstgespräch (oder auch imaginäres Interview) mit der Protagonistin wiedergibt. Der Text enthält Reflexionen über die Identitätsrezeption verschleierter Frauen im öffentlichen Raum, Gründe für das Tragen der religiös konnotierten Kleidung etc.
Kristina Solomukha, »Zeichnungen« (2003–05): Die Serie aquarellierter Zeichnungen basiert auf der Analyse der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung von Stadtlandschaften. Sie schlagen einen Blick auf ein widersprüchliches und hybrides Territorium vor, in welchem Architektur maßgeblich als sichtbares System kapitalistisch-ökonomischer Einschreibungen fungiert. Jene ideologisch konnotierten Repräsentationen fragmentierter städtischer Ansichten werden mit Entwürfen sozialutopischer Ausrichtung vermischt. Durch die Konfrontation der unterschiedlichen Stadtentwürfe wird der urbane Kontext als eine Bündelung von Einschreibungen, Utopien (und deren Scheitern gleichermaßen) und ebenso ihre soziale Funktion als heterotye Konstruktion thematisiert.
Sofie Thorsen, »Am Hauptplatz, im Wald« (2005): Die Videoarbeit besteht aus einer Serie von Strichzeichnungen, innerhalb derer sich durch die Aneinanderreihung – ähnlich wie bei einer Diashow – eine Narration entwickelt. Die Basis des Films bildet Videomaterial, das im Rahmen eines Workshops mit Jugendlichen aufgenommen wurde. Das dokumentarische Bildmaterial wurde durch die Zeichnungen, die eine ästhetische Reduktion sowie die typologische Kristallisation real-räumlicher Situationen bedeutet, ersetzt. Die Gesprächsaufzeichnungen hingegen wurden zu einem Text komprimiert, der nunmehr monologisch von einem weiblichen Teenager eingesprochen wurde. Die aus dem Off kommende Stimme erzählt von öffentlichen Plätzen und einem Wald, sowie den (Un)möglichkeiten einer Teenagerclique den öffentlichen Raum eines Dorfes zu besetzen, zu nutzen usw.
Barbara Trautmann, »Plattenbauten« (2002/04): Die Serie von 25 Graphitzeichnungen fokussiert auf (spät)modernistische Architekturen Berlins. In der bildlichen Repräsentation sind die Gebäude weitgehend aus ihrem städtischen Umfeld herausgelöst, vielmehr werden sie als Solitäre abgebildet. In der Blattmitte angeordnet, werden die Gebäude aus einer leichten Unterperspektive dargestellt. Der Blick auf die Häuser ist eingerahmt von Büschen, Sträuchern und ähnlichen domestizierten Naturreminiszenzen. Die Art der Darstellung ähnelt kleiner idyllenhafter Souvenirmalerei aus alpenländischen Gefilden. Den Zeichnungen von Barbara Trautmann allerdings fehlt der Kitschfaktor, der den Alpenerinnerungen vor allem aufgrund der Farbigkeit und des Maluntergrunds, in der Regel Holz, anhaftet. Die profanen modernistischen Wohnbauten bildstrukturell analog zur Präsentation romantischer Kleinode zu positionieren, ist hingegen durchaus beabsichtigt.