Die intensivierte Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der Zeichnung und der von Hand gezeichneten Linie zeugt von der gesteigerten Bedeutung, die zeichnerische Verfahren für Künstlerinnen und Künstler in den letzten Jahren gewonnen haben. Die Wesensmerkmale der Zeichnung wie Spontaneität des Ausdrucks, Authentizität, das unmittelbare Erfassung einer Idee und einfache unverstellte Verfügbarkeit werden vielfach neu bewertet, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der entpersonifizierten digitalen Bilderflut oder im Zusammenspiel mit anderen Medien. Das Spektrum kann vom klassischen Din-Format des Skizzenblocks bis zur wandfüllenden Lineatur reichen. Die Zeichnung hat sich in vielen Fällen von Papier und Bleistift verabschiedet und zeigt wie kein anderes Medium Wandlungsfähigkeit und gattungsübergreifendes Arbeiten.
Die Ausstellung zeigt exklusiv für den kunstraum muenchen entstandene Arbeiten von Constantin Luser, Heike Weber und Tim Wolff. „Drawing Lines“ verbindet die Untersuchung zeichnerischer Verfahren mit der Frage, welche Materialität Zeichnung heute erfahren kann. So erproben die Künstler unter Berücksichtigung ortsspezifischer Gegebenheiten zeichnerische Prozesse über das begrenzte Bildformat hinaus und loten deren dynamisches Potenzial aus. Installative Eingriffe in Gestalt expansiver Wandzeichnungen wie auch raum- und flächengreifende Interventionen unter Verwendung diverser Materialien verändern zudem die gewohnten Parameter räumlicher Wahrnehmung.
TIM WOLFF
Tim Wolff (geb. 1976, lebt in München) arbeitet mit schwarzem Filzmarker direkt auf der Wand. In einem unmittelbaren Arbeitsprozess werden dabei auch Gegebenheiten, die der Künstler am Ort vorfindet, in die großflächige Wandzeichnung eingeschlossen. Seine grafischen Liniensysteme verdichten in festem Strich Momentaufnahmen wie bei „Oktoberfest“ oder „Demo“ zu dynamischen Formationen und erzeugen auf das Wesentliche reduzierte Ansichten, die aus einer Linie zu wachsen scheinen. Mal hinterfragt und behauptet sich die Linie als einfache Setzung, mal steigert sie sich zum komplexen Liniengeflecht. Indem sich Tim Wolff auf die Komprimierung eines Wirklichkeitserlebnisses konzentriert, bereichert er seine Zeichnungen auch um das Moment der gesehenen und der gewussten Bewegung. Seine Werke wirken deshalb oftmals auch wie gegenständlich gewordene Zeitspuren. Inspiriert zu seinen Umsetzungen haben ihn neben selbst erlebten Situationen auch vibrierende Städteansichten wie die Skyline der brasilianischen Metropole Sao Paolo, in der Wolff einen halbjährigen Studienaufenthalt verbrachte. Das Verdichten der Realität, das immer auch die Doppeldeutigkeiten der uns umgebenden Welt aufzeigt, vermag den Betrachter, der sich einen Weg durch das Liniengeflecht in die Ebene der Dreidimensionalität erkämpfen muss, gekonnt zu irritieren. Gleichzeitig lassen die Wandzeichnungen genug Raum für jene imaginären Ergänzungen, die dem Gesamtbild erst seine Bedeutung verleihen.
HEIKE WEBER
Das der Zeichnung innewohnende Prinzip linearer, raum- und flächengreifender Bewegung beschäftigt Heike Weber (geb. 1962, lebt in Köln) in verschiedenen Dimensionen und Disziplinen. Gemeinsam ist ihren Werken ein irritierendes, die physische Raumwahrnehmung veränderndes Potential. Ihre raumbe-zogenen Arbeiten funktionieren in ihrer Materialität gleichermaßen zeichnerisch wie skulptural. Für „Utopia“ wird ein Teil des kunstraums komplett anhand einer einfachen zeichnerischen Geste in einen begehbaren Bildraum verwandelt. Indem Wand- oder Bodenflächen mit einer vibrierenden Lineatur überzogen werden, ist der jeweils gewählte Ort zugleich Ausgangspunkt und Ziel der zeichnerischen Aneignung Heike Webers und entpuppt sich als permanent sich erweiterndes und entgrenzendes Gefüge aus Raum und Bewegung.
Auf dem Boden liegende, aus Silikon gefertigte filigrane Lineaturen greifen Form und Muster des Orientteppichs auf. Der feinmaschig geknüpfte „kilim“ weist jedoch bewusst Fehlstellen auf, die die ornamentale Pracht der klassischen Teppichmotive aus dem Nahen Osten konterkarieren und in ihrer Abstraktion Fragen nach Figur und Grund auftauchen lassen.
CONSTANTIN LUSER
Constantin Lusers (geb. 1976, lebt in Wien) zeichnerische Welt lebt von ihrem spontanen Gestus und visualisiert sich direkt auf der Wand. In einem sich verselbständigenden Prozess findet die Innenwelt des Künstlers ihren Niederschlag in Form von „Gedankenprotokollen“. Im kunstraum muenchen lassen die unmittelbaren Umsetzungen von Gedanken und Wahrnehmungen Anordnungen aus Worten, Figuren und Symbolen entstehen. Luser arbeitet konsequent seit einigen Jahren daran, die Möglichkeiten des Mediums Zeichnung zu erweitern. Im Geiste der écriture automatique setzt er Emotionen und Impulse frei. Fein gezeichnete Details und mechanisch anmutende, sich verdichtende Striche durchdringen sich; einzelne Bildausschnitte werden in maßstabsveränderten Nebenskizzen betont, während die beigefügten Beschriftungen wiederum neue Assoziationswege und Gedankensprünge hervorrufen. Mit dem Fineliner arbeitet sich Luser durch szenische Anordnungen, Architekturelemente und Momentaufnahmen. Er schöpft dabei auch aus einem Bildreservoir, das immer wieder an biographische Momente anknüpft. Bei diesen Transformationen des Mediums der Zeichnung in den dreidimensionalen Raum weicht das Funktionale und Konstruierte dem Imaginären und lässt eine phantastische Parallelwelt entstehen.
Kuratorin: Dr. Patricia Drück
Zur Ausstellung entsteht eine Edition von Tim Wolff.
Gefördert von der Hypo-Kulturstiftung und dem Kulturreferat der Landeshauptstadt München.
Termine
Mittwoch, 11. Februar 2009, 19 Uhr: Eröffnung
Freitag, den 20. März 2009, 20 Uhr: Filmabend mit animierten Zeichungsfilmen. Mit Beiträgen von Davide Cantoni, Grrrr (Ingo Giezendanner), Elke Lehmann, Serge Onnen, Sebastian Pöllmann, Wolfgang Stehle, sowie aus dem Umfeld der Kunsthochschule für Medien Köln von Stephan Ganoff, David Jansen u.a.