Carmen Dobre-Hametner (*1978 in Bolintin-Vale, Rumänien) ist im Kunstraum München mit ihrer ersten Einzelausstellung in Deutschland zu sehen. Die Künstlerin zeigt ihre Arbeit »Consuming History« in vervollständigter Form. Erstmals waren Auszüge der fotografischen Serie 2015 während der 56. Biennale di Venezia in der Neuen Galerie des Rumänischen Kulturinstituts am Campo Santo zu sehen.
Insgesamt 24 Fotografien in Leuchtkästen evozieren ein kinematographisches Panorama, das auf den ersten Blick eine Geschichte oder vielmehr Geschichte aus vergangener Zeit erzählt. Bei der genaueren Betrachtung erfahren die Bilder, die im winterlichen Litauen entstanden sind, und Männer und Frauen in sowjetischen Uniformen sowie scheinbar Gefangene eines Lagers zeigen, einen Bruch. Zu stark scheint die uniformierte Ärztin geschminkt, zu theatral ihr Auftreten. Der Betrachter gerät in ein merkwürdiges Zwischenstadium zwischen Realität und Fiktion.
Das Projekt dokumentiert eine partizipative Show, die in einem ehemaligen sowjetischen Bunker in der Nähe von Vilnius, Litauen stattfindet, wo ein Team von Schauspielern für Einheimische und ausländische Touristen das traumatische Leben während der kommunistischen Diktatur inszeniert. Die Besucher sollen dabei in einzelnen Stationen eine Propaganda-Sitzung, ein KGB-Verhör, eine rudimentäre medizinische Untersuchung, die Abnahme von Fingerabdrücken und Ansätze einer militärischen Ausbildung erleben, und können dann in einem kommunistischen Geschäft einkaufen und eine typische kommunistische Mahlzeit zu sich nehmen. Die Erlebnisshow verbindet aggressive Momente mit humoristischen Szenen, um dem Nervenkitzel ein Unterhaltungsmoment entgegenzusetzen. Die Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Schrecken der sowjetischen Vergangenheit werden unter dem Versuch Geschichte in konsumfreundliche Happen zu verpacken, begraben. Im »Survival Drama« (so der Name der Show) wird Geschichte zur touristischen Attraktion.
Eine zentrale Frage von Carmen Dobre-Hametners Werk ist die Ambiguität von Realität und ihre fiktionale Dimension. Sie greift Begebenheiten aus der wirklichen Welt auf und hält sie in ihren Fotografien auf eine solche Art fest, dass der Betrachter mit ihnen als Fiktion konfrontiert wird. Es drängt sich in diesem Fall eine Infragestellung von Geschichtsschreibung auf und zugleich wird eine gesellschaftspolitische Auseinandersetzung mit deren Umgang in Form einer Freizeitunterhaltung angestoßen.
»After getting out of the cars, we stood in the winter cold together, forming a group in front of the old bunker. In the old times what followed would have forged bonds of sacrifice and survival, betrayal and absolute friendship, and we would have never been able to forget each other. The Soviet army officer impersonator approached us with a grim face and a frantic barking German shepherd. A minor inner jolt reconfigured the group, the faint echo of terror.«
(Carmen Dobre-Hametner, »Consuming History«)
Kuratiert von Monika Bayer-Wermuth
Eröffnung: Mittwoch, 29. 06., 19 Uhr
Die Künstlerin ist anwesend.
Künstlergespräch: Mittwoch, 13. 07., 19 Uhr
»The Fiction of History«
Mit Nina Neuper, Kunsthistorikerin, München