Die massiven Verwerfungen an den Finanzmärkten geben den Blick auf die Basis unseres globalen Zusammenlebens frei. Fallende Börsenkurse, Bankenpleiten und das Bedrohungsszenarium einer Rezession veranlassen Staaten und Regierungen weltweit, eilig Rettungspläne zu schnüren, um das Vertrauen der Marktteilnehmer wieder herzustellen. Diese Situation, in der Lücken und Diskontinuitäten sichtbar werden, gibt uns die Möglichkeit, Einblick über eine gesellschaftliche „Realität“ zu gewinnen, die normalerweise nicht in unser Bewusstsein vordringt. Deutlich wird in der Krise, wie symbolische Inszenierungen unser soziales Zusammenleben tiefgreifend beeinflussen. Gegen die sichtbar werdende Ausweglosigkeit, Zertrümmerung und Verschuldung wird jedoch nach wie vor versucht, die Erzählung einer zufälligen Abweichung, eines natürlichen Prozesses und einer zu laxen Finanzaufsicht zu etablieren.
Dieses Einwirken der Einbildungskraft auf unsere Wirklichkeit durch Virtualisierung, Fiktionalisierung und Symbolisierung untersucht bankleer im kunstraum muenchen in dem Projekt „Reality State“. Dort kontrastieren sie das Genre des Bankräuberfilms mit der gegenwärtigen Situation an den Finanzmärkten. In einem dokufiktionalen Video und einer Mixed-Media-Installation wird der Frage nachgegangen, wie sich die ins Virtuelle ausgelagerten Transaktionen und Finanzströme in physisch erlebbare Phänomene übersetzen lassen. Im gezeigten Video wird die inszenierte Stürmung einer versatzstückhaft angelegten Bankfiliale von theoretischen Reflexionen von Peter Grottian und Joseph Vogl flankiert. Fragmente von Bankeinrichtungen transponieren das Bankinterieur zitathaft in die Realität des Ausstellungsraums. Ein Tresorraum im oberen Stockwerk, ebenfalls kursorisch als solcher angelegt und nur durch die Tür einsehbar, kann als Herzstück des Finanzwesens als Ort der Generierung und Vermehrung, aber auch der Vernichtung und Verpuffung virtueller wie realer (Geld-)werte gelesen werden, die (scheinbar) entkoppelt von der Wirklichkeit sich selbst befeuern.
Die Ausstellung schließt am 12. Februar mit der Präsentation des aktuellen Katalogs von bankleer, der bei Sternberg Press erscheinen wird und einen Überblick über ihre Arbeiten und Projekte der letzten Jahre gibt. Die Dokumentation wird ergänzt durch Essays von Diedrich Diederichsen, Stefan Kaegi (Rimini Protokoll), Natasa Ilic (WHW) und Daniela Stöppel (kunstraum muenchen).
bankleer sind die in Berlin lebenden Künstler_innen Karin Kasböck (*1969) und Christoph Maria Leitner (*1968). Für ihre Arbeiten, die sich kritisch mit gesellschaftspolitischen Entwicklungen auseinandersetzen, entwickeln sie Installationen und Videos, die dokumentierte Performances und deren Settings aufgreifen und weiterverarbeiten. Zentral für ihre künstlerische Praxis ist das Wechselspiel zwischen Dokumentation und Fiktion, von gesellschaftlicher Realität und künstlerischer Autonomie, Kunst und kunstfremden Kontexten. Ihre Arbeiten zu Ökonomiekritik, Arbeitsverhältnissen, Situationismus, Untoten, Utopiebegriffen und parapsychologischen Phänomenen waren in zahlreichen internationalen Projekten und Ausstellungen zu sehen. Zuletzt waren sie an der Ausstellung Über die Metapher des Wachstums im Frankfurter Kunstverein beteiligt und kuratierten das Projekt Friedensschauplätze in der NGBK Berlin (mit Katalog).
Video-Credits: Sound: Thomas Leboeg, Kamera: William Nicholson, Interviewpartner: Joseph Vogl und Peter Grottian, Innenarchitektur: Marinus van Eldik, Darsteller_innen: Barbara Löblein, Jörn Hagenloch, Millay Hyatt, Marinus van Eldik, Anke Hagemann, Bo Hagemann, Akim One, Friedrich Meyer, Rich Feiberg, Kathrin Wunderer, Maia Krenkler, Harvey Rabbit, Jule Bergmann, Sandra Haselsteiner, André Nunes, Roland Freier, Jeff Cobb, Nandhan Molinaro, Elisa Zucchetti, Tsobias Stiefel, Stefan Frank
Kuratiert von Martin Luce und Daniela Stöppel.
Termine
Mittwoch, 7. Dezember 2011, 19 Uhr: Eröffnung
Sonntag, 12. Februar 2012, 19 Uhr: Buchpräsentation