DEAD TIME IS UNDERSTOOD TO BE AN ARREST OF DESIRE, A LOSS, BUT ALSO A RESERVE OF ENERGY SINCE THE BASIC SENSE OF LOSS IS CREATIVELY DISPLACED IN DAILY LIFE. DEAD TIME IS LIKE A MOVEMENT IN REPOSE, RICH IN VIRTUALITIES.
Tiempo Muerto. Humberto Chávez Mayól, 2004
Die Bibliothek Social Reconstruir - BSR - wurde 1978 von Ricardo Mestre Ventura, einem anarchistischem Veteranen des spanischen Bürgerkriegs gegründet. Im Jahr 1980 wurde sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und entwickelte sich danach zur größten Quelle für anarchistische Texte in Lateinamerika. Im Juli 2009 wurden nach einem Räumungsurteil mit Pfändung die Bibliothek und die Sammlung der Bücher beschlagnahmt. Dank einer rechtzeitigen Intervention einer gemeinsamen Front von Freunden der Bibliothek war es möglich die Sammlung aus dem gepfändeten Gebäude zu transportieren. Seitdem wurden mehr als fünftausend Bücher, 4500 Zeitschriften und zahlreiche Dokumente in geschlossenen Umzugskartons in einer kleinen Wohnung in Mexiko-Stadt gelagert.
Tiempo Muerto ist ein Projekt, das als eine Wanderausstellung angelegt ist, mit dem ultimativen Ziel des Erwerbs eines neuen Standorts für die Bibliothek Soziale Reconstruir, um sie wieder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Eine der Grundideen ist es, Gelder aus der Welt der Kunst abzuzweigen, um diese Initiative zu finanzieren.
Der erste Halt dieses Projekts war im Studio Gennai in Pisa im März 2012. Damit wurde ein kreativer und wirtschaftlicher Mechanismus in Bewegung gesetzt; während des artist-in-residence Programms von Juan Pablo Macias im kunstraum muenchen werden 300 identische Kopien von Schallplatten hergestellt. Die Schallplatten enthalten Musikstücke von mexikanischen Anarcho-Punk-Gruppen, die mit der Bibliothek bei der Organisation von Konzerten von Freidenkern und Anarchisten zusammengearbeitet hatten, um Geld für die Aktivitäten der Bibliothek zu sammeln. Der Stapel an Schallplatten wurde als Skulptur gestaltet, die als ein Ganzes verkauft werden soll. Der Erlös wird geht zu gleichen Anteilen an den Künstler, die Musiker, die Galerie, die Produktion, und der Hauptanteil wird für den Erwerb eines neuen Standorts für die Bibliothek ausgegeben werden. Auf den Schallplattenhüllen steht ein Text über die Arbeitsweisen des Monopols von Benjamin Tucker (1854-1939), der Bezug nimmt auf die Theorien von Marx, Proudhon und Warren, und die Diskrepanz betont zwischen einer „gerechten Verteilung der Güter und dem Kapitalismus.“
Die anarchischen Grundsätze der Verteilung von Besitz von A. K. Owen (1848-1916), einem amerikanischen Ingenieur, utopistischen Reformer und Gründer von Topolobampo in Sinaloa, Mexiko, einer Idealgemeinschaft, die auf den anarchistischen Prinzipien der "umfassenden Zusammenarbeit" basierte, werden direkt in die Wände des kunstraum muenchen eingeritzt.
Die Ausstellung, die jeden Tag von 17.30 bis 21.00 Uhr besichtigt werden kann, präsentiert auch eine Serie von Videos, die Ereignisse zeigen, die im Zusammenhang mit der Bibliothek Soziale Reconstruir nach ihrer Ausweisung 2009 stehen. Eine Zeitschrift, Tiempo Muerto, bietet einen Rückblick auf die Bibliothek und dient zur Dokumentation der Bemühungen, die unternommen werden, um das Ziel des Erwerbs eines neuen Standorts für die Bibliothek zu erreichen, und als Plattform um die Verbindungen zwischen Kunst und Anarchismus neu zu überdenken.
"Die Verkündigung des Ziels einen Raum für die BSR in Mexiko-Stadt zu kaufen als ein Kunstprojekt klingt vielleicht selbstmörderisch, und wahrscheinlich ist sie es, aber zu akzeptieren sich von ca. 30.000 Euro (den Kosten für den Erwerb eines neuen Standorts) einschüchtern zu lassen ist, bedeutet zu akzeptieren, dass Geld nur von großen Konzernen und Staaten angehäuft werden kann durch Handeln mit verarbeiteten Gütern ohne eigenen manuellen Beitrag, mit dem einzigen Ziel sich zu bereichern. Wer kann im Gegensatz dazu behaupten, dass der Erhalt einer der bedeutendsten Bibliotheken für Anarchismus nicht wirklich von größter Bedeutung für alle ist? "
Juan Pablo Macias, Februar 2012
Juan Pablo Macías
Die Arbeit von Juan Pablo Macías (1974) untersucht die Beziehung zwischen den Systemen der Repräsentation und der Affektivität, und analog der Beziehung zwischen dem Wissen der Mächtigen und Wissen der Aufständischen. Mit seinen Aktionen, Interventionen oder Arbeiten über Archive will er Spannung erzeugen zwischen Institutionen, dem Umgang mit der Kunst und dem sozialen Umfeld, indem er sich den üblichen semantischen Phrasen verweigert und stattdessen direkt auf die biologischen, sozialen und wirtschaftlichen Einrichtungen wirkt. Seine Arbeiten wurden in großen Kunstmuseen in Mexiko und der internationalen Welt gezeigt.
In Mexiko hat er Ausstellungen im Museo de Arte Universitario – MUAC; Museo de Arte Moderno; Museo Carrillo Gil. Für diesen Sommer hat er eine Einzelausstellung vor im Museo de Ciencias y Universtitario Artes - Muca Roma in Mexiko-Stadt. Im Ausland: in Moskaus Nationalem Zentrum für Zeitgenössische Kunst (NCCA); Musée d'Art Contemporain du Val-de-Marne in Paris; Playspace Gallery in San Francisco; P74 Galerie in Ljubljana; Fondazione Antonio Ratti und Assab One in Italien; Künstlerhaus Bethanien in Berlin ; im artist-run-space A Certain Lack of Coherence in Porto, Portugal. Seine Arbeit wurde bei der Wanderausstellung Emergency-Biennale auf der 10. Istanbul Biennale vorgestellt, und im März in einer Ausstellung mit dem Titel Resisting The Present: Mexiko 2000-2012 im Musée d'Art Moderne de la Ville de Paris.
juanpablomacias.tumblr.com
Kuratiert von Emily Barsi
Öffnungszeiten: täglich 17.30 bis 21 Uhr.
Termine
Donnerstag, 23. August, 19 Uhr: Eröffnung
Ausstellungdauer 24.8. - 2.9.2012